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Literaturbeilage Nr. 948
Wiesbaden 1977 (Neudruck 1993) - - Karl Kniep:
Ein Gemälde und seine Zeit
Hans Holbein d. J. stammte aus einer Malerfamilie. Er wurde Ende 1497 in Augsburg geboren. Bereits 1513-1514 war er mit seinem älteren Bruder auf Wanderschaft. Ab 1515 ist seine längere Anwesenheit in Basel nachweisbar, und 1517 engagierte ihn der Schultheiß von Luzern. Am 25.9.1519 wurde er in die Basler Malerzunft als Meister aufgenommen.
Nach einigen Wanderungen landete er 1526 erstmals in England, war aber während des Basler Bildersturms 1529 wieder in Basel. 1532 wechselte er nach London über, wo er zunächst hauptsächlich für die deutschen Kaufleute des Stalhofs arbeitete, aber auch Persönlich-keiten des Königshofs porträtierte. Seit 1537 stand er in festen Diensten Heinrich VIII.
Zwei weitere Reisen führten ihn wieder auf den Kontinent und zurück nach London. Am 7. 10. 1543 machte er sein Testament; kurz darauf erlag er der Pest und wurde am 29. 11. 1543 auf dem Friedhof von St. Andrew's beerdigt.
Von seinen Basler Werken im Stil der altdeutschen Renaissance, aber nicht vergleichbar mit ähnlichen Werken Dürers. Altdorfers, Cranachs d. Ä., sind bekannt die Wandfresken im Großratsaal des Rathauses und Malereien auf den Orgelflügeln des Münsters.
1526-1528 schuf er in England nach farbigen Vorzeichnungen Porträts. Für den Stalhof fertigte er Wandgemälde (Grisaille-Fresken) und andere dekorative Arbeiten. Mit der figürlichen Festdekoration „Parnaß", deren Vorzeichnung von 1533 in Berlin erhalten ist, schmückte Holbein den Stalhof beim Einzug der Königin Anna Boleyn. Aus der Zeit um 1540 stammen auch zahlreiche Miniaturbildnisse.
Stalhof, von mittelniederdeutsch stal = Tuch, wurden seit dem 15. Jahrhundert die Niederlassungen und Kontore der Hanse in England genannt. Der Londoner Stalhof umfaßte die alte Gildehalle der Deutschen in der Thames Street und eine Reihe benachbarter Grundstücke. Mit dem Verlust der hansischen Privilegien 1598 ging auch seine Bedeutung verloren: Er wurde 1603 geschlossen, später mit neuer Aufgabe eröffnet und erst 1853 verkauft.
Georg Gisze (auch Jörg oder Jerge Giese) wurde am 2. 4. 1497 in Danzig geboren. Als Sohn einer Kaufmanns-familie war er schon in jungen Jahren weit gereist und ab etwa 1528 am Stalhof tätig.
Hans Holbein d.J., Bildnis des Kaufmanns Gisze. Ölmalerei auf Eichenholz. 96.3 x 85.7 cm, Staatlich, Gemäldegalerie Berlin-Dahlem (Preußischer Kulturbesitz) Hanfstaengl-Künstlerpostkarte Nr. 24
Er ist in seinem Kontor dargestellt, umgeben von teils kostbaren Geräten seines Berufs. Das kennzeichnet seine Tätigkeit und seine Wohlhabenheit. Die lateinischen Verse und Inschriften weisen ihn als Freund der Wissenschaft aus. Die Pflanzen in der Glasvase und die goldene Dosenuhr sind sinnbildhafte Anspielungen - sie sprechen durch die Blume von der Liebe, Treue und Beschei-denheit. Die Klarheit des Gefäßes deutet auf die Lauterkeit seines Charakters. Die Uhr, die die Zeit mißt, ist Symbol der Mäßigkeit. Die Kurzlebigkeit der Blüten, die Zerbrechlichkeit des Glases, die Uhr, die das Vergehen der Zeit anzeigt, sind zugleich Mahnung, die Vergänglichkeit alles Irdischen nicht zu vergessen und sein Seelenheil zu bedenken.
Soweit die Erklärung, die in Berlin-Dahlem neben dem Originalgemälde zu lesen ist.
Das Porträt wurde 1532 gemalt, vermut-lich anläßlich des Verlöbnisses Giszes mit Christine Krüger, die er 1535 heiratete. Auf dem Gemälde öffnet er einen Brief seines Bruders Tidemann (Tiedemann Bartholomäus). Die Adresse ist auf dem Original deutlich zu lesen:
Dem erszamen
Jergen Gisze to Lunden
in Engelant mynem
broder to handen
Georg starb 1562, zwölf Jahre nach dem Tod seines Bruders. Dieser, am 1.6.1480 in Danzig geboren, wurde 1504 Domherr, 1517 Official und 1523 Domkustos in Frauenburg, 1538 Bischof von Culm und 1549 Bischof von Ermland. Er war ein sehr guter Freund von Kopernikus (beide waren gleichzeitig Domherren in Frauenburg), verteidigte dessen heliozentrische Lehre und bekämpfte die Ausbreitung des Protestantismus in toleranter Manier.
Der Brief ist mit der um 1360 von der Hanse errichteten Reitpostlinie Brügge-Mitau und zurück befördert worden. Tidemann wohnte 1532 in Frauenburp und die Reitpost berührte diesen Ort zwischen den Poststellen Braunsberg - und Elbing; der nächste Haltepunkt der Reitpost war Danzig, wo in dem „Königsberger Keller" am Langen Markt die Felleisen ausgetauscht wurden. Ab 1517 wurde das Teilstück Danzig-Hamburg und zurück vom Hamburger Kaufmannsrat betrieben. Die Reisegeschwindigkeit lag bei etwa 35 km pro Tag, und das Porto für einen Brief nach England betrug nach heutigem Wert (1977) etwa 1000 DM.
Nimmt das Gemälde unter den Werken Holbeins ohnehin eine hervorragende Stellung ein, so kann aus der ins Detail , gehenden Darstellung auf die Art der Gebrauchs- und Ziergegenstände jener Zeit geschlossen werden. Dies fängt bei dem Muster der türkischen Tischdecke an, zeigt uns die Form der Glasvase aus Venedig und die Schnörkel am Holzwerk der Wandregale. Die dezente aber vornehme Kleidung läßt vermuten, daß Gisze mit dem Tuchhandel vertraut gewesen ist.
So ist hier ein interessanter Ausschnitt aus der großen Weltgeschichte festgehalten, und trotzdem ist es nur ein kurzer Augenblick auf einem Gemälde.
Rundschreiben 160, Literaturbeilage 948, Ein Gemälde und seine Zeit, Seite 1.
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Added: 01/10/2015
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