Denk’ ich zur Weihnachtszeit an Danzig, meine Heimatstadt...
Günter Deinert
Danzig – eine herrliche Stadt! Man nannte sie das „Nordische Venedig“; und wir Alten leben mit unseren Erinnerungen an diese Stadt, an das Land, das uns prägte. Gerade jetzt, in der stillen Zeit vor Weihnachten, ist sie uns ganz nahe in ihrer verschneiten, silberglänzenden Schönheit.
Welche Fülle von Naturschönheiten umgaben die Stadt: Das weite Meer, umrandet von Kiefernwäldern, breitem, weißem Sandstrand und Wanderdünen; am Ufer das „Gold des Nordens“ – der Bernstein. Dann die wuchtige Steilküste, herrliche Buchenwälder (wie in Thüringen), dunkle Tannenwälder, in denen klare Seen zum Baden einluden! Und dann der große Strom, die Weichsel, an deren Ufer vielhundertjährige Dörfer mit kunstvollen Fachwerkhäusern und schön geschmückten Kirchen liegen. Schwerer Marschboden, von Gräben durchzogen, deren Wasserstand von Schöpfmühlen geregelt wurde, zeugte von der schweren Arbeit und dem Reichtum der Bauern.
Träge durchfließt die Mottlau die Danziger Niederung und nimmt in der Stadt die lustige Radaune auf, die von der Danziger Höhe das frische Trinkwasser für die Stadt bringt. Im Winter aber gibt es auf der Mottlau bewegtes Leben. Junge und Alte sausen mit Schlittschuhen weit ins Werder hinein.
Es war am Heiligen Abend. Der Schnee lag hoch in den Straßen. Der „Rentier Poguttke“ beschrieb seine „Hochtour inne Danziger Schneealpen“ in den „Danziger Neuesten Nachrichten“, unserer Zeitung. Dick vermummt zogen die Menschen durch die festlich geschmückten Gassen, um letzte Einkäufe zu machen.
Unter dem Torbogen des Langgasser Tores stand meine Schwester, mein Bruder hatte ein Lichtlein in ihrer kleinen selbstgebastelten Krippe angezündet; und nun sang sie: „Ihr Kinderlein kommet!“ Nach jeder Zeile mußte sie ihre voreilig tropfende Nase hochziehen; ein Singen, das die Erwachsenen lachen ließ und dem Kind manches Dittchen einbrachte. Der Bruder aber stand an der Ecke des Kaufhauses „Freimann“ und paßte auf, daß der „Blitzkopp“, der Polizist mit der Pickelhaube, sie nicht überraschte. Da war es schon soweit! „Dora, de Schien kemmt, hau ab!!!“ Das Licht aus, die Dittchen gegrabscht, und los geht’s! Minuten später sangen die Kinder in der Zeughauspassage „Gnadenbringende Weihnachtszeit“. Und wieder die laufende Nase, wieder reicher Erfolg.
Zu Hause bereiteten die Eltern die Bescherung vor. Die Kinder umdrängten das Schlüsselloch. Vergeblich! Es war von innen zugehängt. K. fiel ein, dass er sein Gedicht noch nicht gut konnte, also wurde geprobt. Seine Schwester half ihm, sie konnte es viel besser. Das Gedicht hatte Joseph von Eichendorff vor Jahren an einem einsamen Weihnachtsabend in Danzig, fern seiner Heimat Thüringen, geschrieben:
Markt und Straßen steh’n verlassen,
still erleuchtet jedes Haus.
Und ich wandre durch die Gassen,
alles sieht so festlich aus.
An den Fenstern haben Frauen
buntes Spielzeug fromm geschmückt;
tausend Kindlein steh`n und staunen,
sind so wunderstill beglückt.
Und ich wandre aus den Mauern
bis hinaus ins freie Feld,
hehres Glänzen, heil’ges Schauern!
Wie so weit und still die Welt!
Sterne hoch die Kreise schlingen;
aus des Schnees Einsamkeit
steigt’s wie wunderbares Singen:
O, du gnadenreiche Zeit!
Doch nun schnell Mantel an und Pudelmütze auf. Die Musikanten kommen! Durch die verschneiten Straßen schreiten sie feierlich, den Zylinder über die Ohrenschützer gestülpt, nicht wegen der Klänge, sondern wegen der Kälte. Sie spielen gut. Wir kennen sie, denn im Sommer trompeten sie in den Höfen, und dann regnet es aus den Fenstern Dittchen. Jetzt blasen sie mit Inbrunst „Stille Nacht, heilige Nacht“. Bis zur Katharinenkirche laufen wir mit. Da klingt das Glockenspiel vom Turm „Dies ist der Tag, den Gott gemacht“; und siebenmal schlägt die Glocke. Zart blitzen Schneesterne auf im Laternenlicht. In manchen Fenstern leuchten schon die Kerzen.
Niemals werden die Kinder und auch die Erwachsenen diese Erlebnisse vergessen können!
Arge Danzig, Rundschreiben 210, Seite 1487.
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Added: 08/02/2008
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