Keine Übertreibung: Seit Monaten hat die Sammlerwelt mit fieberhafter Spannung der immer wieder verzögerten Ausgabe eigener Danziger Freistaatmarken entgegengesehen. Nun, da mit für ihr Erscheinen den 14 Juni als Eröffnungstag der Verfassungsgebender Versammlung gewählt hat kommt dieser Erstausgabe neben philatelistischen auch eine gesteigerter historischen Bedeutung z.
Es fällt schwer, die nötige Begeisterung für einen „Geburtstagsartikel“ aufzubringen, wenn man im Antlitz eines Spätgeborenen nur die grämlichen Züge betagter Eltern wieder zuerkennen vermeint. Die gepanzerte und gekrönte Matrone „Germania“. Die wahrscheinlich ohne Krieg und Revolution in fünf Jahren im Deutschen Reich ihre Silberhochzeit hätte feiern können, gewann nicht gerade an abgeklärter Altersschönheit, da man sie jetzt kurz nach ihrem Scheidungsprozeß vom 10.Januar noch einmal mit Danzig zum Traualter führte.
Die bedruckte Germania in Brüssel und Bukarest war eine ebenso unsympatische Errungenschaft der Kriegszeit wie die bedrückte Germania in Allenstein und Saarbrücken, und nun auch im alten Danzig. Wenn eine neue Gedania-Briefmarke jetzt schon zur Welt kommen musste, hätten wir ihr eine Gewandung von ausgeprägter lokaler Färbung gewünscht und nicht die stereotype Mode Berliner Reichsdruckerei. Die Kreuze, die Danzig seit alters her im Wappen trug, das Kreuz des Leidens, dünkt mich, aber auch das Glaubenskreuz der Hoffnung, mit der goldenen Krone des Lebens darüber, hätten besser in die Zeit gepasst. Aber was nicht ist, kann ja noch werden, wenn erst die Pariser Ärzte die Konstitution des Säuglings für genug gefestigt erklärt haben., um ganz auf eigenen Füßen stehen zu können. Erprobte Künstler habe schon das Habit für die neue, endgültige Freistaatmarke in Auftrag und in Arbeit: Wappenmuster für die niedrigen Werte, Bildermarken für die Markwerte.
Inzwischen wird unser Danziger Geburtstagskind vielleicht noch einmal die Farbe wechseln müssen, nicht aus Verlegenheit über seine Frühgeburt, sondern weil es der Berliner Weltpostverein (besteht er wirklich noch) so will. Denn auch die deutschen Werte zu 10, 30 und 40 Pfennig, die Danzig noch vorläufig benützt, werden sich über die Germania nicht noch einmal grün, rot und blau ärgern müssen, ehe die steigende Valuta ihnen Anschaffung einer neuen eleganteren Gesellschaft-toilette ermöglicht.
Im Scherz bemerkte gestern jemand, Danzigs Einwohnerzahl wäre endlich seit dem 14. Juni in zwei großen, gleich starken Parteien organisiert; nämlich in Briefmarkensammler und „Nichtsammler“.
50 Prozent Briefmarkensammler mag es am ersten Sitzungstage der Verfassungsgebenden Versammlung vielleicht gegeben haben, wenn man nur nach den Kommentaren urteilen wollte, die so auf den hiesigen Postämtern zu hören waren. Diese Zahl wird natürlich wieder etwas zusammen-schmelzen in den kommenden Tagen, da Wald und See mehr locken, als das Briefmarkenalbum. Aber das rege Interesse an der Philatelie hat sich in Danzig doch schon ganz aus sich allein heraus ein viel zu solide Grundlage geschaffen, auf der weiter gebaut werden kann, bis eine große interna-tionale Zentralstelle errichtet ist, zu der auch die „Danziger Zeitung“ in ihrer neuen Beilage Bausteine beitragen will.
Die wahre Danziger Briefmarke haben wir noch nicht, aber auch darauf werden wir wohl bis zum Herbst warten müssen, wie auch für manches andere. Aber Freunde hat selbst unser primitives Danziger „Provisorium“ schon in der ganzen Welt gefunden, was die hiesigen Telegrafenämter bezeugen können. Und wenn die endgültige echte Freistaatmarke im Herbst vielleicht erscheint, hoffen wir von ihr mit größerer Berechtigung behaupten zu können, was einst der Robinson Verfasser Defoe vom Engländer sagte:
„A true-born Englishman’s contradiction
A metaphor, intended to express
A man akin to all she universe“
d.h. auf unsere Danziger Briefmarke zugeschnitten:
Die erste Danzig-Marke ist ein Widerspruch.
Ein Metaphor. Das mir bezeichnen will.
Die „Marke“, die beliebt im ganzen Weltall ist! G.O.K.