Zu Ben Akibas Zeiten gab’s noch keine Briefmarken, was ja allerdings nicht ausschließt, dass der tief schürfende Forschergeist eines Tages eine der Postwertzeichen ähnliche unalt-arabische Institution „auszubaldowern“ vermag. Aber dennoch kann der vielzitierte alwissende Rabbi aus dem Morgenlande mit seinem berühmten Wort „alles schon da gewesen“ auch vom philatelistischen Standpunkt aus nicht ohne weiteres Lügen gestraft werden. Ist doch namentlich auch in Danzig das Interesse eines größeren Publikums es allen, was irgend nach einer Briefmarke aussieht, nach Ausgabe unserer eigenen Postwertzeichen nun wieder in ähnlicher Weise geweckt und lebendig geworden, wie schon vor 34 Jahren. Damals brachte und der 19.September 1886 in der „Hansa I“ eine Danziger Privat-Stadtpost und damit gleichzeitig postamtlich allerdings nicht anerkannte Danziger Briefmarken und Ganzsachen.
Aus der entschwundenen Jugendzeit, da man begeistert nur Göttin, „Philatelia“ schwur, werden heute alle Erinnerungen an jede Tage wieder lebendig, als man erstes Zschiesche & Köder-Verdruckalbum, eines starken braunen Leinwandband mit Gold- und Schwarzdruck Deckel-pressung, andächtig auf der Veranda in der Zoppoter Wilhelmstraße mit allerlei Briefmarken-Raritäten füllte. Man hatte sie, trotzdem die Lehrer damals sämtlich gegen das Briefmarkensammeln eiferten, in den Klassenzimmern der Obertertia, wenn’s der Schulhof war in St. Johann war, einge-tauscht oder auf dem Heimweg in der Ketterhagergasse in der damaligen Papierhandlung von Schwermer (neben dem Hause der „Danziger Zeitung“!) erworben, die in Danzig Mitte der 80er Jahre im begründeten Rufe stand, die besten und preiswertesten Briefmarken zu führen. Es befanden sich darunter so manche „Kapdreiecke“, Kirchenstaatoriginale. „Thurn und Taxis-Ziffern“, Sardinien und alte Schweizer Kantonalmarken neben zeitgemäßen, eben erst erschienenen Neuheiten, wie den ersten schönen Marken des Fürstentums Monako mit dem Medaillonbildes des Fürsten Karl im Lockenhaar und martialistischem „Henry Quatre.“
Aber erst die neuen, damals überall in Deutschland von Privatpostwertzeichen Sammlern viel begehrten Danziger Briefmarken. Der von M. Pannemann und H. Regier gegründeten Hansa I Privatpost schufen, eine willkommene Gelegenheit, auf vorteilhafte Weise im Tauschverkehr mit Städten wie Stettin, Wien und – eine wie noch deutsch in Erinnerung steht – besonders mit einem braven Tauschfreund in Mährisch-Ostrau bessere Staatspostmarken für die eigene Sammlung zu erwerben. Saß man doch in Danzig ähnlich wie heute da die neuen Freistaatmarken außerhalb in überaus in der Tauschverkehr-Schätzung stehen, an einer nicht so leicht versiegenden Quelle. Für ein paar Pfennig vermachte man die interessantesten Fehldrucke „Hans“ statt „Hansa“ zu ergattern. 1890 gab es bei der „Hansa II“ dann die interessanten, zwar nicht offiziellen, aber doch zugelassenen Halbierungen der Merkurstaat-Marken 1 Pfennig grau-schwarz und 2 Pfennig rot-orange; ferner spielerische, aber gern eingetauschte Phantasie-Zusammenstellungen von Frankaturen, in deren Sammlerfreund B., der in diesem Frühjahr in einem Dörfchen des Freistaat-gebietes wie man las. 25-jähriges Seelsorger-Jubiläum feiern konnte, unermüdlich war. Ob der Herr Pfarrer, der während des Krieges trotz der Postsperre unermüdlich für die geistige Nahrung der armen deutschen Kriegsgefangenen auf Korsika zu sorgen verstand, wohl jener Zeiten und des Schreibers dieser Zeiten erinnerte?
Im alten Danziger Verein für Briefmarkenkunde, dessen Vorsitzender der als unfehlbarer Marken-prüfer sehr geschätzte damalige technische Leiter der Pumpstation H. war und der im Winter im gemütlichen Hinterzimmer eines Restaurants der Heiligen Geistgasse am Tor nächtigte, herrschte damals ein reges philatelistisches Leben und ein vortreffliches gegenseitiges Verhältnis, zwischen den Mitgliedern und Tauschfreunden. Besonders beliebt war das alljährlich mit einem Ball verbundene Stiftungsfest im Gesellschaftshaus, wo bei reich besetzter Abendtafel manch humor-voller philatelistischer Toast – auch in Versen – stieg und wo der Kotillon Herren und Damen so manche schöne Briefmarke, angekauft aus den reichen Mitteln des Vereins, als Geschenk brachte. Dem Danziger Verein gehörten damals übrigens auch mehrere Mitglieder des Berliner Sammler-bundes „Globus“ an, der Anfangs der 90er Jahre eine eigene Umfangreiche Monatszeitschrift, namentlich für jüngere Briefmarkensammler bestimmt, herausgab, bei deren Redaktion sich der Schreiber dieser Zeilen seine ersten Journalistischen Sporen verdiente.
Tempipassanti! Wer sich aus jenen verflossenen Zeiten noch das alte Sammlerherz und offene Augen für das philatelistische Leben unserer Hansestadt bewahrt hat, kann wohl auch heute noch allerlei berichten, was den Danziger Briefmarkenfreund ein wenig zu unterhalten vermag und auch den auswärtigen Philatelisten interessiert.
In Streifzüge durch das philatelistische Danzig, wenn auch nicht in der Verkleidung Harun al Raschids, wollen wir heute starten und in der Folge dann in der „Briefmarken-Rundschau“, soweit es Zeit und Gelegenheit verstatten, das Wissenswerteste zu skizzieren versuchen.
Am Brunshöfer Weg 45a, in Danzigs gründurchwirkter westlicher Villenvorstadt, erhebt sich, anstoßend an einen parkartig ausgestatteten Gartenhof, der große moderne Gebäudekomplex in dem das erste Spezialpostwertzeichengeschäft des Freistaates, die vor einem Jahre begründete und handelsgerichtlich eingetragene Firma Karl Riedel, ihr Heim aufgeschlagen hat. Die Giebelseite krönt ein Adler aus Stein, zwar nicht der alte Preußenaar, sondern ein flügelschlagender Vogel in seiner Silhouette am meisten an den trotzigen Adler im mexikanischen Staatswappen gemahnend, der ja auch auf den Briefmarken der Republik im Bilde festgehalten wird. Es mag dem Inhaber der Firma täglich ins Gedächtnis zurückrufen, dass Mexiko das erste überseeische Land war, mit dem er im Frühjahr geschäftliche Verbindung, einen Markenaustausch- und Kaufverkehr zwischen Danzig und Ciudad Mexiko anzuknüpfen vermochte, das sich mittlerweile in den Riedelschen Auswahl-heften zur Freude aller Auslandssammler in Form mexikanischer Kriegsmarken aller Art kristalli-sieren konnte. Wenngleich die Firma als Lieferant nicht nur von Sammlern, sondern auch seiner großen Händlerschaft in erster Li nie bisher die Marken der Ostgebiete gepflegt hat und weiter pflegen wird, besitzt sie doch bereits ein Korrespondentennetz in fast allen Ländern. Sie ist ständig bemüht, neue Verbindungen auch in Übersee anzubahnen. Einkaufsmöglichkeiten vorzugsweise aus erster Hand ausfindig zu machen und Ware in größeren Posten zu beziehen, um jeder Konkurrenz die Spitze bieten zu können. Gerade das Auslandsammeln dürfte nach Erscheinen der bereits angekündigten neuen Münchener und Leipziger Generalkataloge nach der „großen Mode“ der Kriegs-, Revolutions- und Abstimmungsmarken sehr wahrscheinlich wieder mehr in Aufnahme kommen und die Firma Riedel mit beizeiten für die zu erwartende große Nachfrage in jeder Beziehung gut gerüstet dastehen. Allerdings hat Herr Riedel, was ja keinem großen Briefmarken-händler auf die Dauer erspart bleibt, letzthin mit einer viel interessierenden Londoner Briefmarken-firma, deren Inhaber dem Namen nach Franzose ist, im Engrostauschverkehr schlechte Erfahrungen machen müssen. Der Mann lässt neuerdings überhaupt nichts mehr von hören, so dass gemeinschaftlich mit geschädigten Berliner Händlern und durch Vermittlung einer beim Internationalen Postwertzeichenhändlerverein angeschlossenen Londoner Markenfirma weitere Schritte gegen den unreellen Kunden eingeleitet werden mussten.
In Danzier Schülerkreisen gehen allerlei Mären über die Art und Weise, wie Herr Karl Riedel, der übrigens den Krieg im Osten mitgemacht hat und neun Monate in russischer Gefangenschaft war, ehe er über Schweden ausgeliefert wurde, dazu gelangte, Briefmarkenhändler zu werden. So wie die geschäftige Fama wissen, Herr Riedel habe an einer durch Zufall billig erworbene Marke – häufig wird in dieser Verbindung von Laien dann gleich, um alles zu übertrumpfen, die berühmte blaue Mauritius genannt – ein Vermögen verdient und sei so „auf den Geschmack gekommen“, sich beruflich ganz den Briefmarken zu widmen. Alles das sind unbegründete Phantasien, Herr Riedel ist vielmehr seit seinen Jugendjahren eifriger und kenntnisreicher Sammler, den die Liebe zur Philatelie nach Friedensschluss dazu trieb, sich auf diesem zeitgemäßen Gebiet eine eigene Existenz zu schaffen.
Die Firma, die seit einigen Monaten auch in Danzigs verkehrsreichster Gegend, am Kohlenmarkt 8, eine eigene Verkaufsstelle unterhält, beschäftigt neben dem Alleininhaber Karl Riedel und seinem Prokuristen, Herrn Joachim Giebeler, aus Danzig, bereits ein größeres Personal und ein weiterer Ausbau der Handlung – man spricht von einer neuen Geschäftsstelle auch an einem Hauptorte Deutschlands – ist geplant. In diesen Tagen beabsichtigt übrigens Herr Giebeler eine Einkaufs-Rundreise durch Deutschland anzutreten, um der Firma angebotene größere alte Sammlungen und Dublettenläger zu besichtigen und zu erwerben, was dem Danziger Kundenkreise der Firma in erster Linie zugute kommen wird. Die Firma wird im Herbst dann auch noch mehr als bisher in der Lage sein, ältere gesuchte Europa- und klassische Marken Deutschlands den vielen Liebhabern dafür anzubieten.
Zur Zeit erfreut sich das von der Firma neu zusammengestellte Spezialpaket „Danzig I“, das 76 verschiedene Marken dabei eine Reihe kompletter Sätze in guter Erhaltung enthält, als sehr preiswert besonderer Beliebtheit. Demnächst sollen zur Ergänzung weitere Paketzusammen-stellungen mit vollständig anderen Marken folgen, wie uns die Firma mitteilt, so dass mit der Zeit auf diesem Wege eine kleine interessante Sammlung für sich aufgebaut werden kann. (Viator).