Der Postzensur ins Stammbuch

Die Nr. 1 der philatelistisch von „Altmeister“ Louis Senf vorzüglich geleiteten „Post“ (Kehl a.Rh.) bringt folgendes Eingesandt von Rich. Römer, Halle, das weiteres wertvolles Material im Kampf gegen die Postüberwachungsstellen bietet und das wir schon aus diesem Grunde hier auszugsweise wiedergeben möchten. Herr R. schreibt:
Während meines Aufenthaltes in der ersten Hälfte vorigen Jahres in Polen habe ich Tauschver-bindungen angeknüpft und meist zuerst Auswahlsendungen in alle Länder gesandt. Ein Teil, haupt-sächlich der nach Deutschland gesandten, kam nicht an. Als ich im Juli wieder in meine Heimat zog forschte ich nach den eingeschriebenen Sendungen. Bei einer habe ich festgestellt, dass sie von der Postsensur dem Zollamt übergeben und diesem wegen unerlaubter Einfuhr beschlagnahmt und als verfallen erklärt wurde. Außerdem übergab das liebenswürdige Zollamt Breslau die Angelegenheit dem Staatsanwalt zur Strafverfolgung. Lieber Leser, weil ich mit einem anderen Mitmenschen für circa 100 Mark Katalogwert Marken tauschte! Der Staatsanwalt hat die Sache niedergeschlagen, wohl weil er mich in Polen wähnte. Als ich nun aber von Deutschland aus nach meinen Marken forschte und erwähnte Feststellungen machte, hockte der Staatsanwalt sofort dahinter und eröffnete das Verfahren, das noch schwebt. Ja, man weiß gar nicht, welcher Verbrecher man ist, wenn man im jetzt freien Deutschland Marken sammelt!
Jedenfalls hatte ich nun erfahren, dass Einfuhrbescheinigungen notwendig sind. Ich ließ mir vom Herrn Reichskommissar die Bestimmungen kommen, die das Datum vom 2. August 1920 tragen, also sehr viel später datiert sind, als meine verbotene Einfuhr stattfand, aber das ist wohl ein Irrtum des Personals. Danach ist min privaten Sammlern, die Einfuhr gestattet, wenn sie die Genehmigung erlangen. Ich beschaffte also von der Handelskammer die Formulare (nicht billig), schrieb zwei aus für jeden Fall und fügte die Korrespondenz, wie verlangt, als Unterlage bei. Nach einer Frist, die mindestens ebenso lang war wie im Vorkriegsdeutschland, erhielt ich Genehmigung, entdeckte aber, dass ein freundlicher Mensch mich das Abweichens der ausländischen Marken von dem Karton, die ich als Unterlage eingesandt, enthoben hatte. Leider hatte er vergessen, sie beizufügen. Ich schrieb diese Tatsache sehr höflich dem Herrn Reichskommissar, fügte die Kartons bei und auch einige neue Anträge. Die Karten bekam ich nach circa zwei Wochen zurück, mit einer „herrlichen“ Antwort, nämlich es hätte nicht festgestellt werden können, dass die Marken dort abhanden gekommen wären (das glaube ich). Punkt. Diese schöne Antwort erhielt ich nicht etwa franko, ach nein, ich musste dafür 50 Pfennig zahlen. Die der Beschwerde seinerzeit beigefügten Anträge erhielt ich mehrere Wochen später zurück – nicht genehmigt. Ich habe die Angelegenheit nun einem Rechtsanwalt übergeben.
Bei einzelnen Anträgen konnte ich als Unterlage nur die ausgeschnittene Annonce aus der „Post“ beifügen, wonach K.Y.Z. in, sagen wir, Dänemark Tausch sucht. Diese Anträge wurden abgelehnt, weil „der Nachweis des Tausches erst durch Vorlage der Korrespondenz. Posteinschreibzettel und Empfangsbestätigung des ausländischen Empfängers zu erbringen ist“ (Antwort des Herrn Reichs-kommissars vom 23. Septembers, R.K. VI 41 006). – Also, wie denkt sich das „Amt“ das nun eigentlich? Will ich ihm gerecht werden, dann muss ich an K.Y.Z. jetzt Marken senden, darf mir den Brief natürlich nicht praktischerweise in mein Postbuch quittieren lassen, sondern auf ein Zettelchen muss den Tauschfreund bitten, mir den Empfang zu bestätigen, dann bitte ich den Herrn Kommissar um seine Einfuhrgenehmigung, dann gebe ich wieder 2 Mark Porto aus und schicke dem Tauschfreund den Einfuhrschein. Sehr praktisch! Bekanntlich sind Tauschgeschäfte selten gleich glatt, also nun geht das ins Endlose so weiter. O heiliger Bürokratius!
Das schönste ist, dass Schiebungen hier auch absolut nicht aufgehalten werden, aber der „freie“ deutsche Bürger wird hübsch „gepisakt“! Und irgendeine Jungfrau hat an dem Amte Beschäftigung, jedenfalls mehrere. Bald hätte ich vergessen: Heute habe ich noch einen Brief vom Herrn Reichs-kommissar bekommen vom 10. September 1920 (an hier 26. September 1920), R. 16 086. Diesem sind sämtliche Duplikate der bisherigen Bewilligungen beigefügt. Darauf ist zwar verfügt: z.d.A., und damit ist ja wohl gemeint zu den Akten des Kommissars. Man schickt sie aber mir „zur gefl. weiteren Veranlassung.“ Nun, ich werde sie möglichst praktisch verwenden, das Papier hat ja mein Geld gekostet.
So, liebe Sammlerfreunde, wird unser Vergnügen am Sammeln genommen. Warum? Sollen wir in der Ruhezeit, die wir nun mit unserer Sammlung nicht ausfüllen, vielleicht zu den „Nackttänzern“ gehen?

Danzig