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Lazarettschiffszug 2 auf Haff und Weichsel
[von Elsa Faber von Bockelmann]

Wenn ich an die Kriegszeit zurückdenke, an die Monate meiner Tätigkeit als Schwester auf dem Lazarettkahn, so ist es, als ob sich während der ganzen Zeit ein Schleier um mich und meine Arbeit gesenkt hätte, der den Schrecken des Krieges dämpfte, der den Blick nicht allzu weit gehen ließ. Vielleicht wurden auch die Gedanken in andere Wege gelenkt durch das Leben auf dem Wasser, diesem flüssigen Element, das den Himmel widerspiegelt. Aus schwerer Arbeit kam ich, und dies war dennoch meine Erholungszeit.
An einem diesigen Herbstmorgen schritt ich in meiner Heimatstadt Danzig an dem Ufer der Mottlau entlang. Alles ringsum verschwand schemenhaft. Einige Weichselkähne lagen am Ufer auf dem glanzlosen Wasser, leichter Teergeruch erfüllte die Luft. Die abgerissenen Klänge einer Harmonika tönten zu mir herüber, das war ja dieselbe schläfrige Melodie, die Roman, der Schiffsjunge, vor Jahren auf unserm Lazarettkahn spielte - nichts ruft weit zurückliegendes Erleben so stark in die Gegenwart wie halbvergessene Töne oder leicht herwehender Duft.
Damals war Krieg. Ich durfte den verwundeten Soldaten als Schwester Pflegerin sein. Die großen Weichselkähne, die sonst allerhand Massengüter stromauf und stromabwärts schleppten, waren zu Lazaretten umgewandelt. Zwei hintereinander schwimmende Kähne bildeten einen Lazarett-Schiffszug, der von einem Dampfer gezogen wurde und in langsamer Fahrt Verwundete aus den überfüllten Krankenhäusern von Königsberg nach Danzig trug oder von Tilsit nach Königsberg. Einige Male ging es sogar über das Kurische Haff nach Memel, ja, noch weiter den Memelstrom aufwärts nach Rußland hinein bis Kowno, und davon will ich erzählen.
Mein Reich war der zweite kleinere Kahn. Merkwürdig ist es. daß ich mich nicht daran erinnere, je das Gesicht des Kapitäns gesehen zu haben, der den Dampfer führte. Auch mit dem Stab von Menschen auf dem Hauptkahn kamen wir kaum in Berührung, außer mit dem Arzt, der während der Fahrt zum Krankenbesuch herübergebootet wurde. Jeder Kahn bildete einen Staat für sich und wurde betreut von einem Steuermann und einem Schiffsjungen. Da gab es nur von weitem ein Winken, und wollte man sich verständigen, so wurde das große Sprachrohr geholt.
Auf dem Mastbaum des Lazarettkahnes flatterte im Winde die kleine Fahne mit dem Roten Kreuz. Mai 1915 schreibt man. Schwester bin ich. Nicht nur Schwester der Soldaten, sondern auch Schwester derjenigen, die mit mir arbeiten werden, Schwester Edith und Schwester Hanna. Wir tragen das gleiche Kleid, das gleiche Kreuz. Das Gefühl, wenn auch nur als winziges Rädchen ein Teil des Weltgeschehens zu sein, erfüllte uns mit Stolz.
Die schmalen Bretter, die uns mit dem Ufer verbinden, werden eingezogen. Schon werden die Taue von den knarrenden, schwingenden Holzpflöcken gelöst. Der Dampfer zieht an. Unsere Kähne gleiten ihm langsam nach auf dem blanken Strom der Weichsel. Wir klettern die schmale Stiege zur winzigen Küche hinab. Eine quietschende Schiebetür führt von hier in unser Zimmer, dem Familienstübchen des ehemaligen Kahnbesitzers.
Der Schiffsjunge ist 14 Jahre alt und immer dreckig. Und wenn er nicht gerade hilft, stecken die Hände bis zu den Ellenbogen in den Taschen. Heute sind die Bretter abgedeckt. Ein Raum mit 80 leeren Betten, die sich gegenüberstehen und nur einen schmalen Gang für uns frei lassen, liegt jetzt in Licht und Sonne vor uns, und arbeitsfreudig beginnen wir die Strohsäcke zu stopfen. Das ist schwerer, als man denkt! Der Medizinschrank ist eingerichtet, es ist ein alter Kleiderschrank, der sich nie hätte träumen lassen, daß er dereinst, mit Fächern abgeteilt, zu diesem Ehrenamte aufsteigen würde. Auch die Betten sind bezogen. In Tilsit wird Proviant gefaßt. Roman und Fabianski schleppten ganze Berge von Kommißbroten heran, Fleisch, Kartoffeln, Mehl und Konserven. Alles wurde Stück für Stück in ein blaues Buch eingetragen.
Dann inspizierte der Generaloberarzt den Kahn. „Guten Morgen, Schwestern; wie geht's?“ - „Danke, gut, Herr Generaloberarzt!" Gemütlich läßt er sich den Kahn zeigen und findet nichts daran auszusetzen, rein gar nichts! Als wenn man mir einen Orden umgehängt, so feierlich ist mir zumute.
Dann geht es nach Kowno. Unsere Vorbereitungen zur Aufnahme der Verwundeten sind bis auf das letzte I-Tüpfelchen getroffen. Am nächsten Morgen, einem Sonntag, war alles frühzeitig auf Deck, um den schönen Tag möglichst ausgiebig zu genießen. Es war aber auch zu schön, wie wir im geschleppten Kahn sanft und ruhig vorüberglitten an Wäldern und Feldern, Dörfern und Flecken, in denen vereinzelte Ruinen noch an die nun ein für alle Male erledigte Russenzeit erinnerten. Wie groß die Liebe und Dankbarkeit der dortigen Bevölkerung für unsere Feldgrauen ist, das bewiesen die mehr als reichlichen Liebesgaben in Gestalt von Butter, Milch, Eiern, Schokolade, Kuchen, Obst usw., die die Bewohner beim jedesmaligen Halten unseres Transportes auf die Schiffe brachten. In Labiau, wo wir am Frühnachmittag eintrafen, harrte unser eine besondere Überraschung: Nachdem wir auch hier zunächst mehr als reichlich Liebesgaben empfangen hatten, kam der Pfarrer des Ortes an Bord und hielt eine zu Herzen gehende Andacht.

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Arge Danzig, Rundschreiben 258, 1. Quartal 2018, Seite 3155.


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Added: 30/12/2017
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