- Konstituierung der Freien Stadt Danzig Die komplizierte Vorgeschichte
Wenn trotzdem der unter dem Namen „Pariser Konvention zwischen Danzig und Polen“ bezeichnete Vertrag für Danzig einigermaßen glimpflich ausfiel, so war das zwei Umständen zu verdanken: Einmal dem englisch-französischen Gegensatz und zum Anderen der starken Persönlichkeit Dr. Heinrich Sahms.
England und Frankreich bereinigten ihre strittigen Punkte 1919 in einem Geheimabkommen:
1. Der Posten des Völkerbundkommissars für Danzig war bis 1925 für die Briten reserviert; dafür besetzte Frankreich den Präsidenstuhl der Regierungskommission für das Saarland.
2. In den west- und ostpreußischen Abstimmungsgebieten Marienwerder und Allenstein stellten die Engländer das Hauptkontingent, während die Mehrheit der alliierten Truppen in Oberschlesien aus Franzosen bestehen sollte.
3. Einsetzung eines französischen Diplomaten für das Amt des Hohen Kommissars im Memelgebiet und dessen Besetzung durch französische Truppen.
Die britischen Hohen Kommissare in Danzig, die sich den deutschen Standpunkt zu Eigen machten, handelten also nicht aus persönlichem Interesse, wie man seinerzeit in Danzig annahm, sondern auf klare Weisung. Ohne die britische Hilfestellung wäre z. B. eine Polonisierung Danzigs unvermeidlich gewesen, wenn der Hohe Kommissar Sir Haking 1922 nicht die Stellungnahme des Danziger Senats unterstützt hätte, Ausländern den Erwerb von Immobilien zu untersagen.
Ein Glücksfall für Danzig war Dr. Heinrich Sahm (*1877, † 1939), eine auffallende Erscheinung von preußisch-markantem Zuschnitt, der seine Mitbürger um Haupteslänge überragte.
Er wurde in Anklam als Sohn eines Kaufmanns geboren. Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums studierte er in München, Berlin und Greifswald Rechts- und Staatswissenschaften, arbeitete im preußischen Verwaltungsdienst und war zweiter Bürgermeister in Bochum. In Warschau war er Referent für die Lebensmittelversorgung. Ab 1. Juli 1918 leitete er als Geschäftsführer das Präsidium des deutschen und preußischen Städtetages. Es war der Wunsch des Danziger Oberbürgermeisters Heinrich Scholtz, der im
Oktober 1918 starb, dass Dr. Sahm sein Nachfolger werden sollte. Am 2. Februar 1919 wählte ihn die Stadtverordnetenversammlung zum neuen Oberbürgermeister.
Dr. Sahm, der die Danziger Verhältnisse nur vom Hörensagen kannte, wurde sofort mit den
kompliziertesten Fragen konfrontiert. Für die Zeit seit Abtrennung Danzigs vom deutschen Reich bis zur Errichtung der Freien Stadt hatten die Alliierten den Engländer Sir Reginald Tower als oberste Instanz mit diktatorischen Vollmachten eingesetzt. Zu seiner Unterstützung berief er einen „Staatsrat“, gebildet aus leitenden Beamten der Verwaltung mit Oberbürgermeister Dr. Sahm als Vorsitzenden. Zunächst mußte eine Verfassung für die künftige Freie Stadt ausgearbeitet werden. Dafür war ein vorläufiger Verfassungsausschuß zuständig, in den die politischen Parteien ihre Vertreter delegierten. Die Sitzverteilung richtete sich nach dem Stimmenanteil der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung vom 19. Januar 1919. Dem Ausschuß gehörten 53 Mitglieder an.
Über ein halbes Jahr zogen sich die Beratungen zu einem Verfassungsentwurf, der unter Federführung Dr. Sahms entstanden war, hin. Über den abgestimmten Entwurf hatte nun eine aus freien Wahlen hervorgegangene „Verfassunggebende Versammlung“ zu beschließen. Am 16. Mai 1920 fand die erste demokratische Wahl in der Hansestadt statt, die ausschließlich Danziger Probleme zu lösen hatte. 120 Mandate waren zu besetzen.
Tagungsort der Verfassunggebenden Versammlung war das Landeshaus auf Neugarten, das spätere Volkstagsgebäude. Dort wurde die Verfassung durch eine Mehrheit der Mitte-Rechts-Parteien im Plenum verabschiedet. Danach mußte sie noch dem Völkerbund vorgelegt werden, der einzelne Änderungen verlangte. Von Souveränität konnte also keine Rede sein. Die Verfassung der Freien Stadt Danzig legte in 117 Artikeln den Aufbau des künftigen Staates sowie die Grundrechte und Grundpflichten von Personen fest.
Arge Danzig, Rundschreiben 270, Seite 3608
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Added: 16/05/2021
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