>> 8 Flaschen Tokajer
[Günter Deinert, Tel. 0531-331843]
Drei Tage später rief uns der Chef in sein Zimmer. Neben ihm stand sein Vertreter, Herr Schmidt. „Sie haben doch vor einigen Tagen im Auftrag von Herrn Schmidt einige Flaschen Wein in meine Wohnung gebracht; wieviele waren es?" „Acht, Herr Meller“, sagte Siegfried. „Das ist ja komisch, es stehen nur sieben Flaschen auf meinem Tisch!" „Ihr habt eine ausgetrunken", schrie uns Herr Schmidt an. „Beruhigen Sie sich, Herr Schmidt", unterbrach ihn der Chef.
Nachdem wir merkten, daß es so nicht weiterging, sagte Siegfried: „Entschuldigen Sie, Herr Meller, aber uns ist eine Flasche unterwegs verschütt gegangen!" „Die Bengels lügen“, kam der Zwischenruf von Herrn Schmidt. Der Chef jedoch fragte uns: „Wie ist denn das passiert?" Siegfried antwortete: „Wir hatten jeder vier Flaschen zu tragen. In die Aktentasche paßten aber nur drei Flaschen, also mußte jeder von uns eine Flasche in die Hand nehmen. Als wir nun über die Radaunebrücke gingen, rutschte ich auf dem Schneematsch aus und stieß Günter an. Er kam zu Fall und stieß mit der Flasche, die er in der Hand hielt, an einen Laternenpfahl. Dabei ging die Flasche entzwei. Die Scherben warfen wir in die Radaune“. Es klang ja glaubhaft, aber Herr Schmidt nahm uns das Märchen nicht ab und schrie uns an, doch der Chef ließ uns gehen.
Einige Tage später sollten wir unseren Lehrlingslohn bekommen. Herr Schmidt, der die Auszahlung vornahm, behielt von Siegfried und mir je 10 Mark für die zerbrochene Flasche Tokajer ein. Das war hart, aber wir konnten dagegen nichts machen.
Es wurde Weihnachten, und der Vormittag des Heiligen Abends war im Betrieb immer feierlich. Der Chef rief seine Mitarbeiter einzeln in sein Büro. Nun war ich an der Reihe. Herr Meller wünschte meinen Eltern und mir ein Frohes Fest und überreichte mir einen Umschlag, in dem 5o Mark Weihnachtsgeld waren. Ich bedankte mich und wollte gehen; da rief er mich zurück. „Noch etwas, Günter, ich hörte, daß Herr Schmidt Ihnen und auch Siegfried 10 Mark für die zerbrochene Flasche Tokajer vom Gehalt abgezogen hat. Stimmt das?" „Ja, Herr Meller", antwortete ich. Darauf ein Kopfschütteln von ihm, ein Griff zur Gesäßtasche, und das Portemonnaie kam zum Vorschein. "Hier haben Sie die 10 Mark zurück, und dann schicken Sie bitte auch den Siegfried rein." Ich konnte nur "Vielen Dank, Herr Meller" sagen, aber meine Gedanken waren "Wenn der Chef wüsste …“
Blick vom Danziger Rathausturm in die Langgasse (poln. ulica Dluga)
Foto: Peter Monschau
Arge Danzig, Rundschreiben 248, Seite 2775.
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Added: 06/09/2015
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