>> Karl Kniep:
Mai 1993: Mein zweiter Danzig-Besuch
los vorgekommen - ich wollte immer, daß wir mit der Straßenbahn fuhren: Das letzte Teilstück der Linie von Brösen nach Langfuhr, also zur Endstelle der Bahn, ein Stück zu Fuß zur Hauptstraße und dann zwei Haltestellen bis an die Kaserne mit Linie 1 oder 2 - nun mußte ich einsehen, daß es mit der Straßenbahn wohl länger gedauert hätte als zu Fuß! Und dann der "endlose" Weg bis Haus Nr. 20 (es steht nicht mehr, aber die Nr. 18 ist noch unverändert) - nach dem Tacho sind es noch nicht einmal 600 Meter! Fast rechtwinklig von Hochstrieß bog der Lossowweg ab; dort wohnte die erste Frau von Gerhard Schüler, dem Leiter unserer Arge bis 1981; Frau Brunhilde Schüler schrieb noch am 2. März 1945 einen Brief an ihren Mann.
Unsere nächste Abzweigung von der Hauptstraße führte uns in den Jäschmeiner kenthaler Weg, wo ich endlich meiner Frau den schönen Vers aufsagen konnte:
Heute geht zum ersten Mal
Hilde mit'm Muff nach Jäschkenthal.
Aber ach - die Johanniswiese gibt es nicht mehr, auf der jedes Jahr (bis zum 23. Juni 24 Uhr) das Johannisfest stattfand. Der Jäschkenthaler Weg führt nun ins scheinbar Endlose, in neue Wohnblocks bis zum Flughafen zwischen Gluckau und Bissau.
Der dritte Abstecher von der Hauptstraße führte uns dann in den Heiligenbrunnen Weg, Teil meines Schulweges von 1935 bis 1941. Auch dort stehen noch viele der alten Häuser.
Wollte man in früheren Zeiten, als es noch wenig Kraftfahrzeuge gab, von Langfuhr nach Danzig gelangen, so war es am praktischsten, die zwei Kilometer lange Allee bis zum Olivaer Tor zu benutzen. Meine Angehörigen und ich gingen oft zu Fuß durch den Steffenspark. Oder wir benutzten die Straßenbahnlinie 5, die von der Weidengasse bis zum Ende des Heeresanger fuhr. Nur selten gingen wir auf der anderen Seite der Bahnlinie Danzig-Zoppot, also am "Storchenhaus" (Hebammenlehr- und Entbindungsanstalt) und an der Neuen Schichaukolonie vorbei durch die Alte Schichaukolonie. Von den 20 Häusern der Alten Schichaukolonie stehen noch sieben, darunter auch das Haus, in dem ich von meiner Geburt an bis 1931 bei der verwitweten Großmutter war. Sie hatte im 2. Stockwerk Küche und Zimmer: Kein elektrisches Licht, kein Gas. Jede Mahlzeit mußte mit Feuer auf dem Küchenherd zubereitet werden. Ich weiß daher noch, was Herdringe sind und wie man eine Petroleumlampe auffüllt, ohne daß man sie auspustet. Ab etwa 1935 hatten diese Häuser Anschluß an das Stromnetz bekommen. Jetzt sind neue Fensterrahmen eingesetzt. Vermutlich sind die Wohnungen innen besser als zuvor, wenn auch die Häuser von außen her einen verfallenen Eindruck machen - ein neuer Verputz würde Wunder wirken. Mein besonderer Dank an Marie-Luise, daß wir an jener Stelle ein paar Minuten anhielten. Diese Verbindung von Langfuhr nach Danzig ist großzügig ausgebaut, und man kann gerade dort, wo wir hielten, auch nicht mehr als Fußgänger die Straße überqueren.
Von Jenke und Ton Hulkenberg waren Hilde und ich zum Abendessen eingeladen. Ton hatte sich sehr ausführlich mit dem Straßenverzeichnis auseinandergesetzt und wußte auf Anhieb den Weg zur Wollwebergasse, wo wir schräg gegenüber vom Zeughaus in einem Kellerrestaurant sehr gutes Essen bekamen, wenn auch das "Kotelett auf Danziger Art" ein Schnitzel war, wie es auch in Holland oder Deutschland zubereitet wird.
Donnerstag früh trafen wir noch einmal überraschend mit Betty und John Bloecher zusammen, als wir unsere Ansichtskarten zum ehemaligen "Port Gdansk 1" zum sauberen Abstempeln brachten. Edward besuchte uns, um die Zeit zu klären, wann er uns zum Flugplatz bringen wollte: Wir einigten uns auf 13.30 Uhr und saßen dann noch zu dritt eine traurige Abschiedsstunde im Flughafengebäude - aber mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen in Danzig!
Arge Danzig, Rundschreiben 160, Karl Kniep, Seite 6.
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Added: 01/10/2015
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