Äpfel aus Omas Garten
[Günter Deinert, Tel. 0531-331843; E-Mail: g.deinert@gmx.de]
1976 stand ich vor meinem Geburtshaus, in dem bis 1946 meine Großeltern wohnten. Ich ging um das Haus herum und warf einen Blick in den Garten und ins Treppenhaus, doch fehlte mir der Mut, zu klopfen oder zu klingeln. 1983 sollte das anders sein.
Wieder meine Frau, mein Sohn und ich zu Besuch in meiner Heimatstadt Danzig. Von unserem Hotel auf der Speicherinsel gingen wir zur Straßenbahn-Haltestelle ‚Silberhütte’. Hier trafen wir uns mit einem Bekannten, einem Danziger, der heute noch dort wohnt, und stiegen in die Linie 10, die uns nach Schellmühl brachte. Hier stiegen wir aus, überquerten den Paul-Beneke-Weg und gingen den Posadowskyweg entlang, bis wir in Reichskolonie vor dem Haus meiner Großeltern standen – meinem Geburtshaus. Unser polnisch spre-chender Bekannter ging ins Haus, um zu fragen, ob wir ’mal in die ehemalige Wohnung meiner Großeltern schauen dürften. Nach wenigen Minuten kam er mit der jetzigen Woh-nungsinhaberin heraus und sagte: „Sie sind herzlich willkommen.“ Die Polin begrüßte uns und bat uns in die Wohnung. Sie führte uns in ihr Wohnzimmer, die frühere ‚gute Stube’ meiner Großeltern. Zu unserem Bekannten meinte sie, wir sollten so tun, als ob wir hier zu Hause wären. Und wenn ich in der Wohnung etwas sehen sollte, das mich an meine Großeltern erinnert, könnte ich es mitnehmen. O ja, ich sah schon etwas, doch das konnte man nicht mitnehmen. Es war der große Kachelofen! Oft hatte ich im Winter als Kind an diesem gesessen, während in der Bratröhre die Äpfel schmorten.
Dann wurden wir sehr gastfreundlich mit Kaffee und Kuchen bewirtet. Ich blickte mich im Zimmer um, doch an beweglichen Gegenständen aus früherer Zeit war nichts mehr vor-handen. In der Küche hing wohl noch die alte Kaffeemühle an der Wand, und an der Wohnungstür entdeckte ich den Briefkasten, die Klingel und die Verriegelungskette von damals. Im Schlafzimmer sah ich zwei Haken an der Wand. Ich wurde gefragt, ob ich noch wüßte, wozu sie dienten. Ich konnte mich gut erinnern: Es waren ein Kruzifix und ein Heili-genbild, die früher dort hingen. Das Heiligenbild besitzt heute der Schwager der Polin, und es wird jedes Jahr geweiht. Wir erfuhren, daß meine Großeltern bis zu ihrer Aussiedlung 1946 zusammen mit den Schwiegereltern der Polin in dieser Wohnung lebten und sich gut verstanden. Die Polin und ihr Mann sagten uns, daß sie auch Flüchtlinge seien. In ihrer Heimat leben heute Russen. Sie würden die Wohnung sofort für uns freimachen, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren könnten ...
Während der weiteren Unterhaltung muß wohl mein Blick öfter zu einer Schale mit Äpfeln gegangen sein. Das muß unsere Gastgeberin gemerkt haben, denn sie sagte: „Ja, es sind Äpfel aus dem Garten Ihrer Großeltern, den sie sich auch noch ansehen müssen.“ Nach dem Kaffeetrinken gingen wir durch den Keller und über den Hof in den Garten. Auch hier hatte sich natürlich vieles verändert. Die schöne Gartenlaube war fort, aber einen Rest der Gartenpumpe konnte man noch sehen, und der alte Apfelbaum stand auch noch. Selbst der Zaun mit der Gartenpforte hatte die vielen Jahre gut überstanden. Auf dem Hof wuchs der Klee, genau wie zu meiner Kindheit. Manche Stunde hatte ich damit verbracht, auf dem Hof Vierklee zu suchen, denn für jeden gefundenen Vierklee gab es von der Groß-mutter ein Dittchen (10 Pf-Stück).
Auf dem Hof wurden wir von einer älteren Dame aus dem Nachbarhaus angesprochen. Es war eine Deutsche, die die Heimat nicht verließ. Sie hatte den Namen meiner Großmutter gehört, kam herbei und bestellte Grüße an meine Mutter, die sie auch von früher kannte.
Während der gesamten Besuchszeit durften wir überall fotografieren.
Als wir uns verabschiedeten, schenkte man uns eine Tüte voller Äpfel, und wir mußten versprechen, vor der Rückreise noch einmal vorbeizuschauen. Einige Tage später – drei Stunden vor unserer Abreise – waren wir dort. Nachdem ich mich für den freundlichen Empfang bedankte, meinte die Polin: „Kommen Sie wieder, Sie sind jederzeit herzlich willkommen. Bestellen Sie auch Grüße an Ihre Verwandten in Westdeutschland von Ihrer Heimatstadt Danzig.“ Sie drückte mir die Hand und gab mir zum Abschied einen Beutel frisch gepflückter – „Äpfel aus Omas Garten“.
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Arge Danzig, Rundschreiben 217, Seite 1698.
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Added: 16/07/2008
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