Aus alten Zeitungen und Zeitschriften
[Vorgelegt von Ronald van Waardhuizen, Tel. 00323-225 16 16; E-Mail: ronny@danzig.org]
Briefmarken-Rundschau
Beilage der Danziger Zeitung Nr. 1 (16.6.1920).
Die Danziger Marke
Keine Übertreibung: Seit Monaten hat die Sammlerwelt mit fieberhafter Spannung der immer wieder verzögerten Ausgabe eigener Danziger Frei-staatmarken entgegengesehen. Nun, da man für ihr Erscheinen den 14. Juni als Eröffnungstag der Verfassungsgebenden Versammlung gewählt hat, kommt dieser Erstausgabe neben philatelistischer auch eine gesteigerte histo-rische Bedeutung zu. Es fällt schwer, die nötige Begeisterung für einen „Geburtstagsartikel“ aufzubringen, wenn man im Antlitz eines Spätgeborenen nur die grämlichen Züge betagter Eltern wiederzuerkennen vermeint. Die gepanzerte und gekrönte Matrone „Germania“, die wahrscheinlich ohne Krieg und Revolution in fünf Jahren im Deutschen Reich ihre Silberhoch-zeit hätte feiern können, gewann nicht gerade an abgeklärter Alters-schönheit, da man sie jetzt kurz nach ihrem Scheidungsprozeß vom 10. Januar noch einmal mit Danzig zum Traualtar führte. Die bedruckte Germa-nia in Brüssel und Bukarest war eine ebenso unsympathische Errungen-schaft der Kriegszeit wie die bedruckte Germania in Allenstein und Saarbrücken, und nun auch im alten Danzig. Wenn eine neue Gedania-Briefmarke jetzt schon zur Welt kommen mußte, hätten wir ihr eine Gewandung von ausgeprägter lokaler Färbung gewünscht und nicht die stereotype Mode der Berliner Reichsdruckerei. Die Kreuze, die Danzig seit alters her im Wappen trug, das Kreuz des Leidens, dünkt mich, aber auch das Glaubens-kreuz der Hoffnung, mit der goldenen Krone des Lebens darüber, hätten besser in die Zeit gepaßt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden ... Erprobte Künstler haben schon das Habit für die neue, endgültige Freistaatmarke in Auftrag und in Arbeit; Wappenmuster für die niedrigen Werte, Bildermarken für die Markwerte. Inzwischen wird unser Danziger Geburtstagskind vielleicht noch einmal die Farbe wechseln müssen, nicht aus Verlegenheit über seine Frühgeburt, sondern weil es der Berner Welt-postverein (besteht er wirklich noch?) so will. Denn auch die deutschen Werte zu 10, 30 und 40 Pfennig, die Danzig noch vorläufig benützt, wer-den sich über die Germania nicht noch einmal grün, rot und blau ärgern müssen, ehe die steigende Valuta ihnen die Anschaffung einer neuen eleganteren Gesellschaftstoilette ermöglicht. Im Scherz bemerkte gestern jemand, Danzigs Einwohnerzahl wäre endlich seit dem 14. Juni in zwei großen, gleich starken Parteien organisiert, nämlich in Briefmarken-sammler und 'Nichtsammler'. 50 Prozent Briefmarkensammler mag es am ersten Sitzungstage der Verfassungsgebenden Versammlung vielleicht gegeben haben, wenn man nur nach den Kommentaren urteilen wollte, die so auf den hiesigen Postämtern zu hören waren. Diese Zahl wird natürlich wieder etwas zusammenschmelzen in den kommenden Tagen, da Wald und See mehr locken, als das Briefmarkenalbum. Aber das rege Interesse an der Philatelie hat sich in Danzig doch schon ganz aus sich allein heraus eine solide Grundlage geschaffen, auf der weiter gebaut werden kann, bis eine große internationale Zentralstelle errichtet ist, zu der auch die 'Danziger Zeitung' in ihrer neuen Beilage Bausteine beitragen will. Die wahre Danziger Briefmarke haben wir noch nicht, darauf werden wir wohl bis zum Herbst warten müssen, wie auch auf manches andere. Aber Freunde hat selbst unser primitives Danziger 'Provisorium' schon in der ganzen Welt gefunden, was die hiesigen Telegrafenämter bezeugen können ...
Arge Danzig, Rundschreiben 221, Seite 1835.
Hits: 4360
Added: 17/10/2008
Copyright: 2024 Danzig.org