Zensurpost aus dem Osmanischen Reich nach Danzig
Mein Sohn,
ich habe am 6. Mai 1333 [1917] mit der Lieferschein-Nummer
342 einen Satz Seife, Feigen, Haselnüsse, kernlose
Weintrauben und Walnüsse geschickt. Zusammen mit diesen
Sachen habe ich auch einen kurzen Brief geschickt. Ihr wollt
eine Zeitung, ich wollte einige Male eine als Einzelstück
versenden, die Post akzeptiert das nicht. Ich werde einen Tag
extra in ihre Druckerei gehen, in welcher Art und Weise das
akzeptiert wird jedoch teile ich euch mit. Von meiner Familie
habe ich mich verabschiedet und getrennt, es ist nichts,
worüber man sich sorgen muss. Lass mich dich sehen
[Anmerkung: Ausruf als Auforderung] vertrödele nicht deine
Zeit. Verlebt eine gute Zeit mit euren Freunden. Verrichtet die
Aufgaben mit Sorgfalt. Den Älteren Respekt und den Jüngeren
Menschlichkeit zu zeigen ist eine große Ehre. Was die Angelegenheit
mit der Uhr angeht, werde ich davon keinen Abstand
nehmen können. In meinem nächsten Brief werde ich ihre
Marke und ihren Hersteller mitteilen. Ich bin im Besitz einer
Uhr jedoch ist meine Absicht ein Andenken von dort zu
besitzen und die Zeit zu wissen, etwas Wertvolles möchte ich
aber nicht, du weißt anderenfalls werde ich traurig. Sparsamkeit
ist wichtig, du sollst nicht ohne Geld bleiben. Dein
Vater und deine Mutter küssen deine Augen [Anmerkung: die
Älteren küssen die Jüngeren auf die Augenlider, die jüngeren
küssen den Älteren die Hände], eure Mitbürger und euer
Bruder Şevki küssen eure Hände. Und ich küsse dich
nochmals besonders auf deine Augen. Ich gebe dich in die
Obhut Allahs. Sei glücklich mein liebes Kind.
8 Mai 1333 [1917]
Mehmet Nuri
Interessant erscheinen bei den letzten beiden Belegen die den Adressaten zugewiesenen
Nummern. Offenbar gab es während des Krieges eine größere Anzahl von Türken, die in Danzig tätig waren. Auch in anderen Städten des Deutschen Reiches gab es während des Krieges türkische Gastarbeiter, so z. B. in den AEG Transformatorenwerken in Berlin [1].
Ab 1916 verschlechterte sich die Versorgungssituation im Deutschen Reich dramatisch. Im April1917 kam es nach einer Kürzung der Brotration um ein Viertel zu ausgedehnten Streiks in Berlin und anderen Städten. Auch in Danzig gab es im April 1917 erste Arbeitsniederlegungen, die von der Gewehrfabrik und den Werften ausgingen. Gleichzeitig fehlte das für die intensive Kriegsproduktion dringend benötigte Fachpersonal, da viele Arbeiter im Felde standen. Möglicherweise waren daher die türkischen Arbeiter zur Behebung des Arbeitskräftemangels nach Deutschland geholt worden.
Das Osmanische Reich stand bis 1918 an der Seite Deutschlands – und verlor mit seinem
Bündnispartner den Krieg. Am 30. Oktober 1918 beendete der Waffenstillstand von Moudros die Kampfhandlungen der Entente mit dem Osmanischen Reich. Die Niederlage der Habsburger- und Hohenzollernmonarchie, mit denen sich das Osmanische Reich verbündet hatte, führte – zeitgleich mit dem Ende des Russischen Kaiserreichs – innerhalb weniger Jahre zum Ende von vier großen Monarchien, die die Geschichte Europas über Jahrhunderte hinweg geprägt hatten.
Für die Übersetzung der handschriftlichen Absender- und Empfängerangaben sowie der
osmanischen Zensurstempel möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Herrn
Privatdozent Dr. Tobias Heinzelmann vom Asien-Orient Institut (Abteilung Islamwissenschaft) an der Universität Zürich sowie bei Frau Rebekka Toder von der Bilkent Universität in Ankara bedanken.
Literatur:
[1] https://www.bz-berlin.de/artikel-archiv/die-ersten-islamischen-gastarbeiter
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Added: 10/01/2019
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