>> Meine Kindheitserinnerungen an Danzig-Schidlitz
Harald Strohbusch
In der oberen Reihe der Vierte von links (mit Trainingsanzug), das bin ich.
Mein Vater war auf der Schichauwerft im U-Boot-Bau beschäftigt. In den 40er Jahren wurde dort an 7 Tagen in der Woche gearbeitet. An einem Sonntag im Monat hatte mein Vater einen freien Tag. Da er gern angelte und mich schon angelernt hatte, fuhren wir oft nach Großplehnendorf, um in der Weichsel zu angeln. Wir besuchten dann immer meine Tante Hedwig Lenkeit mit ihrem Mann Willi, die dort mit ihren vier Kindern wohnten. Wenn wir sie im Frühling besuchten, nahmen zwei der Mädchen mich mit, und wir sammelten Möweneier auf den Weichselwiesen. Oft war das zur Osterzeit. Die Eier wurden zu Hause gebraten und schmeckten ganz vorzüglich. Wir fuhren manchmal auch mit der Kleinbahn zur Danziger Niederung, um dort an der Stromweichsel, meistens bei Nickelswalde und Neufähr, zu angeln.
Bei uns zu Hause wurde viel gebastelt, z. B. fertigten wir aus Pappe und viel buntem Seidenpapier schöne Osterkörbe. Im Herbst bauten wir Drachen, die wir bei viel Wind auf dem Kugelberg aufsteigen ließen. Dazu besorgten wir uns aus einer Tischlerei in der Unterstraße dünne Holzleisten, die mit Bindfaden und Seidenpapier bespannt wurden. Der Drachenschwanz bestand auch aus Seidenpapier. Solch ein Drachen war das reinste Kunstwerk! Spannend wurde es, wenn wir unseren Drachen steigen lassen wollten. Dazu gingen wir durch die Weinbergstraße zum Nonnenacker und dort auf den Kugelberg. Einmal blies der Wind so stark, daß mein Bruder Erwin fast mitgerissen wurde, weil er die Leine nicht schnell genug losließ. Ein Erwachsener half ihm aber, so daß er nicht zu Schaden kam.
Anfang 1945 ging die schöne Zeit für uns in Danzig-Schidlitz langsam zu Ende. Der Winter war sehr kalt, und der Krieg machte sich immer stärker bemerkbar. Mein älterer Bruder war an der Front bei Gumbinnen-Schloßberg, wo die Offensive der Roten Armee begann. Mein zweitältester Bruder befand sich an der Westfront. Mein jüngster Bruder, der gerade 16 Jahre alt geworden war, wurde zum Bau von Panzersperren verpflichtet. Am 25. März 1945 kam er nach Danzig, um von dort evakuiert zu werden, und am Abend besuchte er uns dann, um sich zu verabschieden.
Wenige Stunden später mußten auch wir Schidlitz räumen. Meine Eltern machten sich mit mir auf, dem Inferno irgendwie zu entkommen. In einem unendlich langen Zug von Flüchtlingen zogen wir in Richtung Innenstadt. Die Langgasse stand in hellen Flammen, und wir wurden durch die Hundegasse geleitet. In diesem Durcheinander verloren wir meinen Vater aus den Augen. Meine Mutter und ich kamen noch bis nach Heubude, wo uns am 1. April die Rote Armee einholte. Meinen Vater fanden wir einige Tage später auf dem Klaaßen Berg, wo er schwer verwundet Unterschlupf fand. Am 26. Juni 1945 starb mein Vater an seinen schweren Verletzungen; er wurde nur 44 Jahre alt.
In einem Viehwaggon mußten meine Mutter und ich Danzig am 5. Februar 1946 gen Westen verlassen.
Arge Danzig, Rundschreiben 210, Seite 1484.
Hits: 4656
Added: 08/02/2008
Copyright: 2024 Danzig.org